Elowen fühlte das Adrenalin durch ihre Adern fließen, während sie den Gasgriff festhielt. Der Wind zerrte an ihrer Jacke, und die Welt um sie herum verschwamm zu einem kaleidoskopischen Rausch aus Farben und Licht. Sie hatte Kaelan überholt, ohne ein einziges Wort zu sagen, nur ein kurzes Nicken hatte ihm signalisiert, ihr zu folgen. Ihre Augen hatten dabei für einen Moment aufgeleuchtet – ein Funkeln, das Kaelan noch lange nachhängen würde.
Chronologische Reihenfolge der Geschichten:
Diese Geschichte gehört zur Serie „Der Blick, der die Welt anhielt“ und spielt nach #8 und vor Teil #5,#1 schließt direkt an die bisherigen Treffen mir Kelan an. Elowen und Kaelan sind erneut zusammen unterwegs, doch diesmal hat sich das dynamische Gleichgewicht zwischen ihnen verschoben. Elowen ergreift die Initiative, etwas, das sie zuvor kaum gewagt hätte. → Ganze Serie „Der Blick, der die Welt anhielt“
- Fremde Wege – Ein gemeinsamer Augenblick #7
- Das Echo der Sehnsucht, eingefroren im Moment #2
- Jenseits der Worte – unsichtbare Kraft des Moments #4
- Seelengefährten und Herzenswege: Die Kraft der inneren Freiheit #3
- Zwischen den Zeilen – Ein Moment im Schatten des Unausgesprochenen #8
- Momente der Stille – Augenblicke zwischen uns #6
- Der Wind, der uns trug – Ein Teil von Elowen #9
- Das Echo ihrer Freiheit – Das leise Nachbeben in Kaelan #10
- Gefangen im Nebel der Sehnsucht #5
- Der Blick, der die Welt anhielt #1
Elowens geheimer Ort
Er folgte ihr, ließ sich von ihrem Tempo treiben, beobachtete, wie sie jede Kurve meisterte, als hätte sie ein unausgesprochenes Abkommen mit der Straße. Ihre Bewegungen waren präzise, fast mühelos – als wäre sie eins mit dem Motorrad und der Welt um sie herum.
Kaelan hielt Abstand, beobachtete die Eleganz, mit der sie jede Kurve nahm, die perfekte Harmonie zwischen ihr und ihrer Maschine. Es war, als würde sie den Wind tanzen lassen, und er konnte nicht anders, als diesem Tanz zu folgen.
Die Strecke war anspruchsvoll, mit engen Kurven und plötzlichen Anstiegen, aber Elowen schien darin aufzugehen. Es war, als würde sie für diesen Moment leben, für das pure Gefühl von Freiheit, das der Fahrtwind mit sich brachte. Kaelan konnte das Lächeln hinter ihrem Helm nicht sehen, aber er spürte es in der Art, wie sie fuhr – mit einer Energie, die ansteckend war.
Schließlich hielt sie an einem schmalen Seitenweg, der in einen dichten Wald führte. Sie sprang vom Motorrad, zog den Helm ab und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen funkelten vor Aufregung.
„Wir sind da“, sagte sie atemlos und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an.
Kaelan hielt inne, überwältigt von der Veränderung, die er in ihr sah. Sie wirkte so lebendig, fast schwerelos, als hätte sie für einen Moment all ihre sonst so undurchdringlichen Mauern hinter sich gelassen.
„Wohin genau hast du mich geführt?“, fragte er, während er seinen Helm abnahm und den Blick über den verwunschen wirkenden Weg schweifen ließ.
„Ein Ort, den ich schon seit Jahren kenne. Es ist nichts Besonderes, aber für mich …“ Sie hielt inne, biss sich leicht auf die Lippe. „Für mich war es immer ein Rückzugsort. Ein Ort, an dem ich einfach … sein konnte.
Kaelan nickte, sah sich um, als wollte er den Ort durch ihre Augen betrachten. „Zeig es mir.“
Überrascht blickte sie ihn an, dann brach ein Lächeln über ihr Gesicht. Ohne nachzudenken, griff sie nach seiner Hand und zog ihn mit sich. Kaelan ließ es zu, spürte die Wärme ihrer Finger, die ihn fast elektrisierte.
„Dieser Ort ist etwas Besonderes für mich“, sagte sie leise, als sie den Weg entlanggingen. „Ich komme hierher, wenn ich allein sein will, aber …“ Sie hielt inne, drehte sich zu ihm um und sah ihn direkt an. „Heute wollte ich ihn mit dir teilen.“
Kaelan erwiderte ihren Blick, suchte nach den richtigen Worten, doch bevor er etwas sagen konnte, zog sie ihn weiter.
Sie kamen an eine Lichtung, wo ein altes, verlassenes Haus stand. Es war von wilder Vegetation umgeben, doch die Natur hatte es nicht verschlungen, sondern ihm eine unerwartete Schönheit verliehen.
„Das ist es“, sagte Elowen und drehte sich zu ihm um, ihre Augen leuchteten vor Freude.
„Es ist wunderschön“, sagte Kaelan leise.
„Warte, ich zeig dir noch was!“ Sie lief voraus, sprang über ein paar lose Äste, drehte sich lachend zu ihm um. „Komm schon, du bist so langsam!“
Kaelan konnte nicht anders, als zu lachen, während er ihr folgte. Sie führte ihn zu einer Bank unter einem alten Baum, dessen Zweige einen natürlichen Bogen bildeten. Sie war stehen geblieben, ließ die Hände über die verwitterte Holzoberfläche gleiten und drehte sich dann zu ihm um.
„Hier habe ich immer gesessen“, sagte sie mit einem weichen Lächeln. „Hier fühlt sich alles … einfacher an.“
Kaelan trat näher und ließ seinen Blick über die Szene schweifen. „Es passt zu dir.“
„Wieso?“ Ihre Stimme klang neugierig, fast verspielt.
„Weil es ruhig ist, aber voller Leben“, sagte er. „Ein Ort, der seinen Wert nicht sofort zeigt, sondern erst, wenn man ihn wirklich sieht.“
Elowen blickte ihn einen Moment an, dann lachte sie leise, schüttelte den Kopf und setzte sich auf die Bank. „Manchmal redest du wie jemand, der aus einem Buch entsprungen ist.“ Seine Worte und Gesten berührten sie so sehr, dass sie oft nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Sie schüttelte den Kopf, um sich davon abzuhalten, in ihren Gedanken zu versinken.
Kaelan setzte sich direkt neben sie. „Vielleicht“, sagte er lächelnd, „aber es scheint dich nicht zu stören.“ Immer wenn er dies Tat, sich direkt neben ihr zu stellen oder setzten, dann fühlte sich das so vertraut an, so richtig.
Sie lachte erneut, und ihr Lachen war leicht und frei, wie der Wind, der durch die Bäume strich. „Vielleicht nicht.“
Als der Abend tiefer wurde, tanzten die Schatten des Baumes über ihre Gesichter. Sie saßen dicht nebeneinander, ihre Arme berührten sich, und keiner von beiden zog sich zurück. „Es passt zu dir“, sagte er leise.
Elowen lachte leise, drehte sich zu ihm um. „Wieso das?“
Er zuckte mit den Schultern. „Es ist still, aber nicht leer. Einfach, aber nicht belanglos. Es hat eine Schönheit, die man nur sieht, wenn man wirklich hinschaut.“
Seine Worte ließen sie kurz verstummen. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also tat sie es nicht. Stattdessen streckte sie die Hand aus und zeigte auf die Zweige über ihnen. „Siehst du das? Der Baum hat fast die Form eines Bogens. Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, dass er einen magischen Eingang bewacht.“
Kaelan folgte ihrem Blick, lächelte. „Und was liegt dahinter? Ein verborgener Schatz?“
„Vielleicht“, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen weichen, nachdenklichen Ton. „Oder vielleicht einfach nur ein Ort, an dem man für eine Weile alles andere vergessen kann.“
Für einen Moment war da nur das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel. Kaelan sah sie an, und in ihrem Gesicht lag eine Offenheit, die er bisher selten bei ihr gesehen hatte.
„Danke, dass du mich hergebracht hast“, den Blick auf den Horizont gerichtet.
„Wofür?“
„Danke, dass du mich hergebracht hast“, sagte er.
Sie lächelte, ein ehrliches, warmes Lächeln. „Danke, dass du mitgekommen bist.“ Sie drehte den Kopf zu ihm. Ihre Augen waren voller Ehrlichkeit und etwas, das er nicht ganz greifen konnte. „Vielleicht … Vielleicht mache ich das irgendwann wieder.“
Das Schweigen, das folgte, war schwer und doch angenehm – voller unausgesprochener Möglichkeiten.
Die Anziehung, die nicht losließ
Schließlich kehrten beide zusammen zu ihren Maschinen zurück, die letzten Sonnenstrahlen des Tages warfen goldene Reflexe auf der Oberfläche der Bäume.
Er sah ihr nach, wie sie durch die Lichtung ging, als würde sie den Ort, den sie ihm gerade gezeigt hatte, selbst noch einmal neu entdecken. Die Abendsonne fing sich in ihren Haaren, und für einen Moment wirkte sie wie ein Teil der Landschaft – frei, ungezähmt, vollkommen in ihrem Element.
Kaelan spürte ein Ziehen in seiner Brust, das er nicht ignorieren konnte. Es war nicht nur Bewunderung, sondern etwas Tieferes, das ihn an die Möglichkeiten erinnerte, die seine Lebendigkeit wiederspiegelten.
„Danke, dass du mich hierhergebracht hast“, sagte er schließlich leise. Seine Worte klangen einfach, doch in seiner Aufregung wusste er es nicht besser auszudrücken.
Elowen drehte sich zu ihm um, ein Hauch von Überraschung in ihrem Lächeln. „Es ist nicht viel“, sagte sie. Doch ihre Augen verrieten etwas anderes – als würde sie ihm stumm mitteilen, dass dieser Ort für sie mehr war, als sie zu zeigen wagte.
Kaelan nickte, konnte den Blick jedoch nicht von ihr abwenden. Als sie wieder vor ihren Motorrädern standen, blieb sein Blick auf ihr haften – wie sie sich bewegte, wie sie in ihrem Element schien. Ein Teil von ihm wusste, dass dieser Moment mehr war, als er jemals in Worte fassen könnte.
Elowen lief um ihr Motorrad, strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht und setzte ihren Helm auf, schloss den Reißverschluss ihrer Jacke und zog die Handschuhe an. Kaelan beobachtete sie, ohne etwas zu sagen. Der Moment hatte etwas Magisches, als hätte die Zeit für einen Augenblick beschlossen, stillzustehen.
Als sie schließlich davonfuhr und der Klang ihrer Maschine in der Ferne verklang, blieb er zurück. Die Hände auf den Lenker gestützt, sah er ihr nach, spürte die Kühle des Abends auf seiner Haut und das leise Nachbeben dessen, was sie ihm gezeigt hatte. Es war, als hätte sie ihm einen Teil von sich selbst offenbart – und gleichzeitig etwas, das tief in ihm verborgen lag.
Und während er den Blick nicht von der Stelle löste, an der sie verschwunden war, fühlte er, wie etwas in ihm erwachte – ein Anfang, den er nicht ignorieren konnte.