Die Begegnung – Der erste Blick auf den Drachen – Die Luft war still, als die junge Frau den Drachen erblickte. Seraya, eine einfache Reisende aus einem kleinen Dorf, stand am Rand der Klippe. Sie hatte die Geschichten über das Wesen gehört, das in den Bergen lebte – größer als jedes Schiff, majestätischer als die Wolken selbst. Doch nichts hätte sie auf den Anblick vorbereiten können.
Der Drache lag halb in den Schatten gehüllt, nur die feinen Umrisse seines gewaltigen Körpers sichtbar. Seine Schuppen leuchteten wie geschmolzenes Glas, jeder Farbton des Sonnenuntergangs tanzte auf seiner Haut, und doch schien er sich in der Dunkelheit aufzulösen, als gehöre er gleichermaßen zur Welt und zu einem Reich jenseits davon. Seine Augen, so tief und klar wie zwei unergründliche Seen, ruhten auf ihr – nicht feindselig, aber auch nicht einladend. Der Wind trug eine leise Wärme, die von ihm auszugehen schien, wie ein Flüstern, das das Herz berührte.
Die Begegnung – Seraya kniete nieder, ihre Hände zitterten. Sie wollte sprechen, doch die Worte blieben in ihrer Kehle stecken. Wie konnte sie einem Wesen wie diesem begegnen, ohne sich völlig unbedeutend zu fühlen? Und doch hatte sie ihn gesucht, ohne genau zu wissen, warum.
Kaeltharion’s Gedanken: Eine Last der Ewigkeit
„Wieder einer. Wieder ein Mensch mit leuchtenden Augen, voller Fragen, voller Staunen. Sie kommen immer so – mit Ehrfurcht, mit Sehnsucht. Doch sie gehen alle gleich. Sie sehen meine Schuppen, meine Flügel, die Macht, die mich umgibt. In der Hoffnung, sich selbst dadurch besser zu fühlen. Wirklich sehen können sie nichts.“
Er richtete sich langsam auf, ein Schatten, der die Sterne verdeckte. Der Drache stand nun vollständig im Mondlicht, sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich, als würde er die gesamte Welt einatmen. Seine Flügel glitten sacht hinter ihm auf und falteten sich wie ein Vorhang aus Nacht. Seraya sah die feinen Linien, die jede einzelne Schuppe durchzogen, als wären sie von der Zeit selbst gezeichnet. Doch was sie am meisten fesselte, waren seine Augen. Sie waren nicht nur tief, sie waren voller Schmerz, als würden Jahrhunderte des Wissens und der Einsamkeit in ihnen wohnen.
Die Worte des Drachen: Ein Blick in die Dunkelheit
„Warum bist du hier?“, fragte der Drache schließlich. Seine Stimme war tief und klang wie ein ferner Sturm, der sich in der Seele niederließ.
Seraya zögerte. „Ich … ich weiß es nicht genau. Vielleicht, um dich zu sehen. Vielleicht, um dich zu verstehen.“
Der Drache lachte leise, ein Klang, der zugleich melancholisch und ehrfürchtig war.
„Sehen? Verstehen? Die Menschen kommen immer mit diesen Worten. Doch ihr seht nur, was ihr verstehen könnt. Ihr blickt niemals tiefer. Ihr versteckt euch hinter einer Fassade, die ihr selbst nicht durchbrechen könnt und hofft andere zu verstehen.“
Serayas stille Entschlossenheit
„Er irrt sich. Ich sehe mehr. Diese Augen … wenn ich sie erblicke, sehe ich keinen Drachen mehr. Ich sehe etwas Vertrautes und etwas Einzigartiges. Ich spüre Trauer, ich spüre Mut und ich spüre eine unendliche Freiheit, wenn ich ihn ansehe. Es fesselt mich. Aber wie kann ich das sagen, ohne töricht zu klingen?“
Sie kroch auf den Knien einen klein wenige näher. „Ich weiß, dass du viel mehr bist als das, was ich sehen kann. Ich möchte einfach nur deine Nähe erfahren, hier sitzen und dich bewundern. Vielleicht auch etwas verstehen.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und doch hallte sie in der Stille nach.
Kaeltharion beobachtete sie, seine Augen unverändert.
„Sie glaubt, sie könnte verstehen. Wie könnte sie? Wie könnte sie die Jahrtausende begreifen, die ich getragen habe? Die Leben, die ich gesehen habe, die alle vorübergingen wie Schatten? Die kurzen Emotionen einer liebevollen Begegnung sind mir alle bekannt, es ändert jedoch nichts am Ausgang?“
Die Bürde der Ewigkeit
Er senkte den Kopf, seine riesigen Hörner schimmerten wie Mondlicht. „Du bist mutig, Mensch. Aber Mut reicht nicht aus, um die Dunkelheit zu ertragen, die in meinem Herzen ruht.“
Ein Funke der Hoffnung in der Einsamkeit
Seraya senkte ihren Blick. Die Worte des Drachen trugen eine Schwere, die sie kaum ertragen konnte, und doch hielt sie daran fest, näher zu ihm zu treten. „Vielleicht kann ich nicht alles verstehen, Kaeltharion,“ sagte sie leise. „Aber ich glaube, dass Einsamkeit nicht ewig sein muss. Selbst ein Funke kann in der Dunkelheit Licht bringen.“
Kaeltharion betrachtete sie schweigend. Ihre Worte klangen ehrlich, und doch wusste er, dass sie es nicht begreifen konnte. Menschen kamen und gingen, flüchtige Wesen, die sich nach Ewigkeit sehnten, aber sie nie erfassen konnten. Er war ein Wesen dieser Ewigkeit – und in dieser Ewigkeit lag seine Bürde.
„Du glaubst an Hoffnung“, murmelte der Drache schließlich, seine Stimme weich wie der Wind. „Das ehrt dich, doch Hoffnung allein kann einen Abgrund nicht füllen. Ich habe sie getragen, Seraya, solange, dass sie mir nichts mehr bedeutet. Die Leere, die ich in mir trage, ist ein Teil von mir geworden.“
Seraya wollte widersprechen, doch sie hielt inne. Etwas in seinen Augen – ein unendlicher Schmerz, eine Trauer, die tiefer ging, als Worte ausdrücken konnten – brachte sie zum Schweigen. Kaeltharion richtete sich auf, sein Schatten legte sich über sie wie ein Mantel.
Ein Abschied aus der Stille
„Du bist anders als die anderen“, sagte er schließlich. „Vielleicht siehst du etwas mehr. Vielleicht spürst du, was die anderen nicht konnten. Aber du wirst auch gehen, Seraya. Du musst gehen. Es ist die Natur eures Wesens.“
Sie schüttelte den Kopf, Tränen rannen über ihre Wangen. „Ich werde nicht gehen! Ich kann es nicht!“ Ihre Stimme war so leise, dass sie fast in ihrem Hals verstummte.
Der Drache lächelte traurig. „Du wirst es müssen. Denn ich werde nicht bleiben.“
Der letzte Flug: Kaeltharions Entscheidung
Bevor sie etwas sagen konnte, öffnete Kaeltharion seine mächtigen Schwingen. Der Wind riss an ihren Kleidern, während er sich in die Lüfte erhob, seine Silhouette gegen den Mond ein unvergesslicher Anblick. Doch etwas war anders – eine Schwere schien ihn zu erdrücken. Seine Flügel bewegten sich langsamer, sein majestätischer Flug wirkte mühsamer.
Von oben blickte er ein letztes Mal auf Seraya hinab. „Danke“, flüsterte er, obwohl er wusste, dass sie es nicht hören konnte. Es war ein Dank für ihre Ehrlichkeit, für den Funken, den sie gebracht hatte – auch wenn er ihn nicht halten konnte.
Kaeltharion flog höher, der Himmel schien ihn zu verschlingen. Seraya sah ihm nach, bis er nur noch ein Schatten war, der sich in der Dunkelheit verlor. Doch dann geschah es.
Ein Flügelschlag, der nicht kam. Eine Bewegung, die nicht mehr ausgeführt wurde. Kaeltharion ließ sich fallen, nicht wie ein stolzes Wesen, sondern wie ein müder Geist, der endlich seine Bürde ablegte. Sein Körper stürzte in die Ferne, seine mächtigen Schuppen glimmten ein letztes Mal wie die Farben des Sonnenaufgangs, bevor er am Horizont verschwand.
Serayas Abschied: Ein Moment der Erkenntnis
Seraya schrie seinen Namen, doch der Wind nahm ihre Worte mit. Sie rannte zum Rand der Klippe, suchte mit verzweifelten Augen nach ihm, doch es war zu spät. Kaeltharion war fort – nicht gestorben, sondern zurückgekehrt zu der Erde, die ihn hervorgebracht hatte. Eine Seele, die nicht mehr weitertragen konnte, was niemand sonst verstand.
Die Welt war still, und Seraya kniete dort, Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie wusste, dass sie nie wieder ein Wesen wie ihn sehen würde. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie auch, dass sie ihn wirklich gesehen hatte – zumindest ein klein wenig seines unfassbaren Wesens für einen Moment …