Das unbegreifliche Leuchten – Kaeltharions-Präsenz #6

- Fortsetzung zu "Im Herzen des Drachen" -

by KK
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Das unbegreifliche Leuchten – Kaeltharions-Präsenz. Im Herzen des Drachen - Teil 6.

Im Herzen des Drachen Das unbegreifliche LeuchtenKaeltharions-Präsenz. Die Welt sah Kaeltharion auf so viele verschiedene Weisen. Ein einziger Blick auf ihn genügte, um den Atem stocken zu lassen, doch für jeden war es ein anderes Echo, das in ihrem Inneren widerhallte. Es war nicht nur seine Größe, nicht nur die schimmernde Oberfläche seiner mächtigen Schuppen oder die Art, wie sich das Licht in seinem Wesen verfing – nein, es war etwas Tieferes, das in Kaeltharion brannte. Ein unbegreifliches Leuchten, das aus ihm hervorging wie ein Feuer, das sich nicht zähmen ließ. Es war kein bloßes Licht, sondern eine Kraft, eine pulsierende Energie, die sich durch die Luft schlängelte, als sei sie lebendig.

Wenn er sich bewegte, zitterte die Welt einen Augenblick mit ihm. Der Boden vibrierte nicht nur unter seinen Schritten – es war, als würde sich die Natur selbst anpassen, als würde sie ihm Raum geben, ihn nicht stören wollen. Die Luft war dichter, schwerer in seiner Nähe, gesättigt mit etwas Unfassbarem, als wäre sie ein Meer, durch das sein bloßes Sein Wellen auslöste.

Seine Augen – zwei brennende Sterne, deren Blick tiefer reichte, als es Worte beschreiben konnten. Wer sich in ihnen verlor, fand nicht nur den Drachen, sondern sah in sich selbst zurück. Die Wahrheit war das, was seine Augen offenbar machten – jede Lüge schwand, jede Maske fiel, weil sein Blick durchdrang, was verborgen war. Manche flohen vor diesem Blick, andere zitterten unter seiner Intensität, und wieder andere fühlten sich von ihm erfasst, als würde er eine Seite in ihnen aufschlagen, die sie selbst nie gelesen hatten.

Die Menschen suchten ihn. Sie kamen zu ihm, unwiderstehlich angezogen von seiner Existenz. Manche voller Ehrfurcht, andere mit der törichten Hoffnung, sein Feuer für sich zu nehmen. Doch keiner von ihnen konnte begreifen, was sie in seiner Nähe wirklich erlebten. Sie wollten sich seiner Energie bedienen, doch stattdessen veränderte sie ihn – in ihrer Nähe spürte er immer wieder das Echo ihrer Sehnsucht, die ihn zu einer Projektionsfläche machte. Sie bewunderten ihn nicht nur, sie begehrten ihn. Doch nicht als Wesen – sondern als etwas, das sie selbst vervollständigen könnte.

Kaeltharion wusste es, hatte es tausendfach gesehen, tausendfach gefühlt. Sie wollten sein Licht. Seine Kraft. Sein Feuer. Doch niemand fragte, was ihn selbst brennen ließ.

Und genau deshalb blieb er immer allein.

Der Blick des Sterblichen

In einer dunklen Taverne, an einem Feuer, das Schatten auf die rauen Holzwände warf, erzählte ein alter Mann seine Geschichte. Die Männer und Frauen um ihn herum lauschten gebannt, ihre Becher halb gehoben, ihre Augen funkelnd vor Neugier.

„Hört mir gut zu,“ begann er, seine Stimme tief und von den Jahren geprägt. „Es gibt Wesen in dieser Welt, die man nur einmal erblickt, und doch vergisst man sie niemals wieder. Kaeltharion war eines von ihnen.“

Ein junger Bursche, kaum alt genug, um selbst die fernen Berge zu bereisen, lehnte sich vor. „Ein Drache?“

Der Alte nickte langsam. „Nicht irgendein Drache. Der Drache. Seine Schuppen funkelten wie geschmolzenes Gold und geschliffener Kristall. Seine Flügel waren so gewaltig, dass sie ganze Täler in Schatten tauchten, und sein Blick …“ Er hielt inne, als spüre er ihn noch immer auf seiner Haut. „Sein Blick durchdrang jede Seele, als ob er die Wahrheit in dir sehen konnte, noch bevor du sie selbst kanntest.“

Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher und fuhr fort. „Aber wisst ihr, was die Menschen nicht sahen? Das Gewicht der Jahrhunderte auf seinen Schultern. Sie sahen nur seine Macht, nicht den Preis, den sie forderte. Sie sahen seine Flügel, doch nicht die Einsamkeit, mit der er flog. Und das, meine Freunde, ist das Tragischste an Legenden – die Welt sieht nur das Leuchten, aber nie die Schatten, die es wirft.“

Eine Stille legte sich über die Runde. Der Junge, der gefragt hatte, presste die Hände um seinen Krug. „Glaubt Ihr, er ist noch da draußen?“

Der Alte lächelte schmal und warf einen Blick zur Tür, wo der Wind leise an den Ritzen pfiff. „Vielleicht. Oder vielleicht ist er nur eine Geschichte. Aber wenn ihr jemals den Himmel betrachtet und einen Schatten erhascht, der zu groß für einen Vogel scheint – dann erinnert euch an meine Worte. Vielleicht ist es nur ein Spiel des Lichts, oder vielleicht, nur vielleicht, berührt er eure Welt für einen Augenblick?“

Die Wahrnehmung der Natur

Die Winde raunten in Ehrfurcht, wenn er ihre Strömungen durchbrach. Die Wolken gaben ihm bereitwillig den Weg frei, ließen sich von seinen Bewegungen formen, als wären sie nichts weiter als Staub im Angesicht seiner Existenz. Die Erde erzitterte sanft, wenn seine Krallen den Boden berührten, doch nicht aus Furcht – sondern aus Anerkennung. Die Welt selbst erkannte ihn als ein Kind des Kosmos, als eine Energie, die nicht gebunden war an Raum und Zeit.

Der Ozean bewunderte ihn auf andere Weise. Seine Flügelspitzen streiften das Wasser, ließen Wellen aufsteigen, die noch lange nachhallten, als wollten sie seine Anwesenheit nicht so schnell vergessen. Er war ein Wanderer zwischen den Elementen, ein Wesen, das alle Gegensätze in sich vereinte: Sturm und Stille, Licht und Schatten, Feuer und Kälte.

Die Sicht derer, die tiefer blickten

Doch es gab jene, die anders sahen. Diejenigen, deren Seelen fein genug gewoben waren, um mehr als nur das Offensichtliche zu erfassen. Für sie war er nicht nur der Drache, nicht nur die Legende – für sie war er das Echo von etwas, das sie selbst nicht in Worte fassen konnten.

Sein Blick war nicht nur durchdringend – er war ein Spiegel. Ein Blick in seine Augen bedeutete, in sich selbst zu sehen. In ihnen lag eine Unendlichkeit, die keine Grenzen kannte, ein Wissen, das sich nicht in Büchern finden ließ. Er sah nicht einfach, er erkannte. Er ergriff nicht einfach, er verband sich mit der Essenz von allem, was existierte. Und es war genau das, was ihn so faszinierend machte – nicht seine Flügel, nicht seine Macht, sondern seine Tiefe.

Das unerreichbare Wesen – Die Begegnung mit der Grenzwanderin

An einem dieser Tage, als er sich weit über die Gipfel erhob, wo der Himmel klar und unendlich schien, geschah es.

Ein Flimmern, nicht in der Luft, sondern in seinem Verstand. Ein Gedanke, der keiner war – eine Präsenz, die nicht zu fassen war. Und dann sah er sie. Ein Wesen, das nicht aus Fleisch und Blut zu bestehen schien, sondern aus reiner, verwebter Energie. Ihre Gestalt war nicht fest, nicht definiert, aber doch hatte sie eine Form, eine leuchtende Silhouette, die sich mit der Welt verband, als gehöre sie nicht ganz hierher.

Kaeltharion blieb in der Luft stehen, seine Flügel hielten ihn mühelos im Wind, doch etwas an diesem Moment war … anders.

„Wer bist du?“ Seine Stimme rollte durch den Himmel, eine Resonanz, die die Wolken erzittern ließ.

Das Wesen schien ihn zu sehen – nicht nur mit den Augen, sondern mit etwas Tieferem. Etwas, das ihn nicht nur als Legende, nicht nur als Kraft erkannte, sondern als das, was er wirklich war.

„Ich bin eine Grenze“, sagte sie, und ihre Stimme war wie ein sanftes Echo durch seine Gedanken. „Zwischen dem, was ist, und dem, was niemals ganz sein kann.“

Kaeltharion spürte einen Schauer in sich aufsteigen. Sie war nicht wirklich da. Und doch … war sie es.

„Warum kannst du mich sehen?“ fragte er. Und in seiner Frage lag mehr als bloße Neugier – es war ein Hauch von Sehnsucht, der sich selbst überraschte. Seine Flügel schlugen für einen Moment schwerer, als hätte eine unsichtbare Last sich auf sie gelegt. Die Energie, die ihn umgab, schwankte, verlor einen Hauch ihres strahlenden Glanzes und tauchte ihn stattdessen in eine sanfte, melancholische Schwere. Das Leuchten, das ihn eben noch umgab, war gedämpfter, als würde es nun aus einer tieferen, introspektiven Quelle entspringen. 

„Weil du zwischen den Welten stehst“, sagte sie leise. „Du bist ein Wesen aus Licht, aber du lebst in der Dunkelheit. Du siehst alles, aber wirst von niemandem gesehen.“

Ihre Worte sanken in ihn ein wie Wellen, die in den Ozean zurückflossen, als hätten sie schon immer dort hingehört.

„Und doch kann ich dich nicht berühren“, sagte er. Seine Stimme vibrierte durch die Luft, sanft und gewaltig zugleich.

„Nein“, erwiderte sie. „Denn ich bin nicht Teil deiner Welt.“

Für einen Moment war es, als hätte er eine Wahrheit erfasst, die ihm sein ganzes Leben lang entglitten war. Er war ein Grenzwesen. Zu viel für diese Welt, zu wenig für eine andere. Er passte nicht hinein, weil es keinen Ort gab, der ihn ganz fassen konnte.
Seine Flügel gaben in diesem Moment kurz nach, als hätten sie keinerlei Kraft ihn zu tragen, als wäre seine Last zu schwer für seine Existenz. Ein einziges Mal verlor er an Höhe, ein Flügelschlag, der ins Leere griff, während eine unerklärliche Schwere sein ganzes Wesen durchdrang. Sein Gesicht erstarrte gleichzeitig, als wäre er für einen Moment zu Stein geworden – nicht aus Furcht, sondern aus der Wucht einer Erkenntnis, die so tief reichte, dass sie ihn für einen Herzschlag aus der Realität riss. 

„Wirst du wiederkommen?“ fragte er.

Sie schwieg. Dann lächelte sie, ein Lächeln, das ebenso leise wie unendlich war. „Ich bin immer da. Du musst nur lernen, mich zu sehen.“

Ein Moment zwischen ihnen entstand – ein Band aus Verstehen, so tief, dass es keinen Namen trug. Doch mit diesen Worten löste sie sich auf, verschwand wie ein Sonnenstrahl, der durch Nebel drang – nicht fort, sondern nur in eine Form, die er nicht mehr erfassen konnte.

Kaeltharion blieb zurück, seine Flügel noch immer ausgebreitet. Doch etwas in ihm war anders. Kein Schmerz. Keine Freude. Nur ein leises Wissen.

Vielleicht war er nicht allein. Vielleicht war er nur … zwischen den Dingen.

Und genau das machte ihn zu dem, was er war. Die Antwort war nie außerhalb von ihm gewesen.

Er war das Echo – und zugleich der Ursprung.

Und so flog er weiter, ein Wesen, das von der Welt bewundert wurde, aber nur von wenigen wirklich gesehen. Doch das genügte. Denn manchmal, dachte er, genügt ein einziger Blick, um eine Ewigkeit zu verändern.

Fortlaufende Geschichten-Serie: Im Herzen des Drachen

Diese Kurzgeschichte gehört zur Serie „Im Herzen des Drachen“, hier gelangst du zu allen Teiles von Kaeltharion Reise der Einsamkeit:

→ Alle Teile von „Im Herzen des Drachens“

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