Vorgeschichte zu der Ruf im Schatten: Die Geburt des Schattens – Im Herzen des alten Nordwalds entstand Arcturus – nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus einer uralten Dunkelheit, die sich mit der Stille des Waldes verband. Er war mehr als nur ein Schatten und weniger als eine Gestalt, ein Wesen aus purer Dunkelheit und Macht, das nie vollständig greifbar war. Dort, wo er schritt, schien das Licht von selbst zu verblassen, als ob die Welt ihm einen stillen Tribut zollte.
Arcturus war keine körperliche Präsenz, sondern ein Hauch von Macht, der die Luft verdichtete. Die Bäume schienen um ihn herum schwerer zu atmen, und selbst der Nebel wurde stiller, wenn er sich durch die Schatten bewegte. Seine Form war kaum mehr als eine Silhouette, wie eine dichte Dunkelheit, die das Licht verzehrte, und doch spürte man ihn wie eine unsichtbare Kraft, die die Atmosphäre tief und dicht machte. Ein Wesen aus reiner Nacht, das die Grenzen der Wirklichkeit nur selten überschritt. Dort, wo er schritt, verdunkelte sich die Welt von selbst, als ob die Natur ihm Tribut zollte, und der Nebel schien ihm seinen Weg zu bereiten.
Die Menschen, die sich in die Nähe wagten, sahen ihn nie vollständig – vielmehr spürten sie ihn, als eine Präsenz, die die Luft schwerer und die Sinne schärfer machte. Seine Gestalt entglitt jeder klaren Wahrnehmung; ein kraftvolles Wesen, das weder ganz gesehen noch berührt werden konnte, und doch war seine Nähe wie ein Flüstern, das Herz und Geist fesselte. Arcturus wanderte, ein stiller Beobachter, ein unsichtbares Wesen, das von niemandem vermisst wurde.
Die Last der Ewigkeit
Jahrhunderte vergingen in einem ständigen Wechsel aus Dunkelheit und Dämmerung, bis die Kälte, die ihn einst zu einem Teil des Waldes gemacht hatte, zur Bürde wurde. Er fühlte die Einsamkeit, wie ein Schatten, der immer dichter um ihn herum kroch. Es war eine Leere, die tief in ihm wucherte und die kein Licht durchdringen konnte, doch Arcturus akzeptierte diese Einsamkeit als seinen Zweck. Er war der Wächter des Waldes, der Herr der Nacht, und obwohl er dies oft als Fluch empfand, war es das Einzige, was er kannte, das Einzige, was er wirklich war.
Aber eines Nachts, als der Mond nur eine schmale Sichel am Himmel war und der Nebel den Wald wie ein schwerer Schleier bedeckte, geschah etwas Unerwartetes. Arcturus spürte zum ersten Mal etwas anderes, eine Fremde im Wald. Sie bewegte sich leise, schritt vorsichtig über das Laub, und eine sanfte Wärme umgab sie, die fast wie ein schwacher Lichtstrahl in der Dunkelheit zu ihm vordrang. Er zog sich zurück, mischte sich in die Schatten, beobachtete sie aus sicherer Distanz.
Und dann hörte er ihren Atem – ruhig, gleichmäßig, unerschrocken.
Die erste Begegnung
In dieser Nacht erschien ihm die Welt für einen Augenblick neu und anders. Das Mädchen – Serah, wie er später vernahm – wirkte wie ein Wesen, das aus einer anderen, fernen Welt zu ihm gekommen war, eine, die er nie betreten konnte. Sie sprach nicht und machte keine übermäßigen Bewegungen. Stattdessen setzte sie sich auf einen der alten moosbewachsenen Baumstümpfe, ihren Kopf leicht geneigt, als würde sie auf etwas oder jemanden warten. Arcturus beobachtete sie, fasziniert von der Anmut in ihrer Stille, von der Unerschrockenheit, die sie ausstrahlte.
Sie kehrte in den folgenden Nächten zurück, und Arcturus begann, sich in der Nähe aufzuhalten, zuerst nur aus Neugierde, dann aus einem tiefen Bedürfnis heraus, das er nicht kannte. Die Dunkelheit, die ihn bis dahin fest umhüllt hatte, schien weniger bedrückend, wenn sie da war, selbst wenn sie ihn nie sah. Er fühlte sich nicht länger unsichtbar, sondern als ob er von ihren Gedanken getragen würde, auch wenn er nur ein ferner Schatten blieb.
Ein unausgesprochenes Band
Wochen vergingen, und Serah war weiterhin seine stille Begleiterin im Wald. Sie schien ihn zu suchen, doch Arcturus hielt Abstand, aus Angst, dass seine bloße Gegenwart sie vertreiben könnte. Er war sich bewusst, dass es töricht war, sich in die Nähe eines Menschen zu begeben, doch Serah war anders. Sie sprach manchmal mit den Bäumen, als wären sie alte Freunde, und wenn sie sich umsah, glaubte Arcturus, dass ihre Augen direkt auf ihn ruhten, auch wenn er tief in den Schatten verborgen war.
Arcturus wusste nicht, wann er begann, ihre Rückkehr sehnsüchtig zu erwarten. Wahrscheinlich war es schon bevor er sie das erste Mal sah. Er konnte den Gedanken, dass sie eines Tages nicht wiederkehren könnte, kaum ertragen. Ihr Lächeln, die Art, wie sie den Wald betrachtete – sie sah die Schönheit in den Dingen, die ihn umgaben, und es gab ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit, das er nie zuvor gekannt hatte.
Eines Nachts, als die Dunkelheit besonders dicht und die Stille fast drückend war, hörte er zum ersten Mal ihren leisen Ruf. Es war sein Name, den sie flüsterte, ein Hauch im Wind, der ihn wie ein Zauber umfing. „Arcturus.“ Der Klang ihres Flüsterns erfüllte ihn, als ob sie ihn tatsächlich sehen könnte, und für einen kurzen Moment wollte er ihr antworten. Doch als er aus dem Schatten treten wollte, hielt ihn die Macht des Waldes zurück – die Dunkelheit war seine Heimat und sein Gefängnis.
Die wachsende Sehnsucht
Mit jedem Treffen wuchs die Sehnsucht in ihm, ihr nahe zu sein, sich selbst in ihrer Wärme zu spiegeln, die ihm fremd war. Er spürte, dass Serah ihn suchte, dass sie ein unbewusstes Band spürte. Aber Arcturus wusste, dass er mehr riskierte, als ihr jemals zeigen konnte. Seine Liebe, geboren aus der Einsamkeit und dem Dunkel des Waldes, war ein stilles Opfer, das in den Schatten gefangen bleiben musste.
In den folgenden Nächten zog sich Arcturus zunehmend zurück, unfähig, seine Gefühle zu verbergen und gleichzeitig zu fürchten, dass sie ihn eines Tages wirklich sehen könnte. Er war ein Wesen des Waldes, der Schatten und der Stille – und doch, in Serahs Nähe, wuchs die Hoffnung in ihm, dass auch er einmal die Wärme des Lebens spüren könnte.
Er wollte ihr diese Wahrheit nie zeigen, denn er wusste, dass die Dunkelheit und das Licht niemals dieselben Wege gehen konnten. Doch die Liebe, die in ihm erwachte, sollte in der Stille bleiben, ein unausgesprochenes Versprechen, ein Band aus Sehnsucht und Einsamkeit, das sich über die Jahrhunderte erstrecken würde – tief verborgen in den Schatten des Nordwalds.