Im Herzen des Drachen – Es war einmal ein Drache, der weit über die Grenzen der Welt bekannt war – nicht nur für seine Größe oder seine mächtigen Flügel, sondern für etwas viel Tieferes: seinen Verstand, seine Klugheit, und die unglaubliche Schönheit, die er ausstrahlte. Er war ein majestätisches Wesen, das jeden, der ihn sah, in Ehrfurcht versetzte. Seine Schuppen schimmerten in allen Farben des Sonnenaufgangs, und seine Augen strahlten wie zwei unermesslich tiefe Seen. Doch es war nicht nur seine äußere Pracht, die ihn so besonders machte. Sein Geist war so klar und durchdringend, dass er die Geheimnisse der Welt verstand, die die meisten nicht einmal zu erahnen wagten.
Er war der einzige seiner Art, und in seiner Einsamkeit spürte er die Schwere dieser Andersartigkeit. Denn obwohl viele zu ihm kamen – voller Bewunderung, Neugier oder Faszination – blieben sie nie lange. Sie bestaunten ihn, begehrten seine Nähe, aber keiner von ihnen konnte wirklich erfassen, was in seinem Inneren vorging. Sie sahen nur die Oberfläche, spürten durchaus auch seine starke Aura: den mächtigen Drachen, das Wesen der Stärke und des Wissens, seine Anmut. Doch niemand wagte es, tiefer zu blicken, in seine Seele, wo er die wahre Sehnsucht nach Verbindung und Verständnis verborgen hielt.
Die stille Sehnsucht
Der Drache flog oft allein durch die Lüfte, seine Schwingen so mächtig, dass sie die Wolken zerteilten. Doch die Freiheit, die er in der Luft spürte, reichte nicht aus, um die Leere in seinem Herzen zu füllen. Es war eine seltsame Art von Einsamkeit, die ihn plagte – eine Einsamkeit, die nicht daraus resultierte, dass er allein war, sondern daraus, dass niemand in der Lage war, ihn wirklich zu sehen.
Er beobachtete die Menschen aus der Ferne. Er sah, wie sie ihre einfachen Leben lebten, wie sie miteinander lachten, wie sie sich gegenseitig hielten, wenn die Nacht über sie hereinbrach. Der Drache sah, wie sie sich gegenseitig fanden, sich unterstützten, wie sie Gemeinschaft in einer Tiefe fanden, nach der er sich sehnte. Doch obwohl viele Menschen den Drachen suchten – um Weisheit zu erlangen oder seine Nähe zu spüren – kam keiner mit dem Verlangen, wirklich zu verstehen und zu wachsen.
Manche fürchteten ihn, andere bewunderten ihn, doch sie alle blieben auf Abstand. Für die meisten war er zu groß, zu mächtig, zu anders. Und so verharrte er in seiner Einsamkeit, eine Insel der Stärke inmitten eines Ozeans aus flüchtigen Begegnungen.
Der letzte Besucher
Eines Tages, als der Drache sich in den Schatten eines alten Berges niederließ, kam ein Mensch zu ihm. Der Drache spürte, wie dieser sich ihm näherte, zaghaft, fast ehrfürchtig. Der Mensch sprach leise und respektvoll, und für einen Moment fühlte der Drache etwas wie Hoffnung. Vielleicht, so dachte er, könnte dieser Besucher endlich derjenige sein, den er nicht nur sah, sondern der auch ihn wirklich sah. Doch wie alle vor ihm, stellte auch dieser Mensch Fragen über Macht, Wissen und Stärke. Über all die Dinge, die der Drache verkörperte, aber nicht über die, die er im Herzen fühlte.
Der Drache gab ihm, wonach er suchte – Wissen und Antworten – und doch war sein Herz schwer. Als der Mensch ging, wusste der Drache, dass auch dieser nicht bleiben würde. Auch in diesen würde der Drache keine tiefe Seele und Vertrauen finden, welches er zu schenken bereit wäre. Eine wollte eine Ganzheit spüren, eine Tiefe sehen, das wahre Licht in einer Seele, das Feuer, das jenseits von Stärke und Intelligenz brannte – das Feuer der Sehnsucht nach Verbundenheit.
Im Herzen des Drachen setzte ein tiefes Seufzen ein. Es war eine Bürde, die er immer wieder durchlebte. Er konnte alle anderen verstehen, konnte durch ihre Fassaden sehen und die Essenz ihres Wesens erkennen, aber niemand konnte dasselbe für ihn tun, es gab keinen Spiegel, jemand der so war wie er selbst. Er war zu groß, zu anders, zu mächtig, um wirklich verstanden zu werden.
Das Feuer des Herzens
Doch tief in sich wusste der Drache, dass die Antwort nicht in der Anerkennung der anderen lag. Er musste selbst lernen, sein wahres Ich zu erkennen und zu schätzen – auch ohne die Spiegelung in den Augen anderer. Es war eine Wahrheit, die er so lange verdrängt hatte: Er war schon vollständig, so wie er war. Seine innere Kraft, seine Klarheit und Weisheit waren nicht darauf angewiesen, von jemand anderem erkannt zu werden.
Doch diese Erkenntnis brachte keine sofortige Erleichterung. Denn der Drache sehnte sich nach mehr. Es war ein Teil seiner Natur, der nach Verbindung schrie, nach einer Seele, die ihn ebenso tief erkennen konnte, wie er die Welt erkannte. Und dennoch wusste er, dass diese Suche vergebens sein könnte. Seine Andersartigkeit war es, die ihn so besonders machte, aber auch die Quelle seines Schmerzes. Eines unendlich starken Schmerzes, der brannte tief in seiner Brust, so sehr, dass es wie ein physischer Schmerz anfühlte. Ängste durchbohrten das Herz des Drachen.
Er blickte in die Ferne, wo die Menschen wie kleine Punkte in der weiten Welt wirkten. Er sah ihre Leben, ihre Beziehungen, ihre flüchtigen Momente der Freude und des Leids. Und obwohl er die Kraft hatte, Berge zu versetzen und die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln, blieb er allein.
In dieser Einsamkeit fand der Drache jedoch etwas anderes – eine Art stillen Frieden. Es war die Akzeptanz, dass er in seiner Großartigkeit auch seine Einsamkeit tragen musste. Und vielleicht war es genau diese Einsamkeit, die ihm die Tiefe seiner Weisheit schenkte.
Der Drache breitete seine Schwingen aus, der Wind trug ihn empor, und obwohl niemand an seiner Seite war, fühlte er die Kraft, die in ihm pulsierte. Vielleicht würde nie jemand kommen, der ihn wirklich verstand. Aber das war in Ordnung. Er würde weiter fliegen, weiter leuchten – und die Welt würde weiterhin in Ehrfurcht vor ihm stehen. Er hatte die Hoffnung und er hatte seine Stärke und Freiheit. Alle Gefühle waren sein und niemand konnte ihn das nehmen.
Einladung zur Reflexion
Kaeltharions-Geschichte ist mehr als nur ein Märchen über Einsamkeit und Stärke – es ist eine Reise, die uns alle betrifft. Seine Geschichte stellt uns Fragen, die tief in uns ruhen: Was bedeutet es, allein zu sein, und wie finden wir in uns selbst die Kraft, die uns weiterträgt? Seine Reise erinnert daran, dass Einsamkeit nicht nur ein Ort der Trauer, sondern auch der Transformation sein kann.
Was denkst du, welche Kraft in der Stille und in uns selbst steckt? Welche Kraft liegt für dich in der Stille, und was bedeutet es, das eigene innere Licht zu schützen? Teile gerne deine Gedanken und begleite Kaeltharion in den weiteren und kommenden Teilen, wenn er weiter nach dem Gleichgewicht zwischen Einsamkeit und Verbundenheit sucht.
Doch Kaeltharions-Reise ist noch nicht zu Ende. In den kommenden Kapiteln wirst du erfahren, wie er die Balance zwischen Einsamkeit und Verbundenheit weiter sucht und welche Geheimnisse sich in den Tiefen seines Seins offenbaren.
→ Hier geht es zur Übersicht: „Im Herzen des Drachen“
2 comments
Ein starker Drache in der Geschichte mit vielen weisen Erkenntnissen. Doch ich denke er übersieht, dass die Menschen nicht fliegen können und wenn er sie mit nimmt in seine Welt nimmt, könnten sie trotz ihrer unterschiedlichen Arten einander verbunden sein. Und vielleicht war der Mensch gar kein Mensch sondern eine ganz eigene Spezies 🤷♀️
Und sowohl der Drache als auch der Mensch müssten nicht alleine sein.
Ich glaube leider nicht das die Menschen ihn je verstehen werden, auch wenn er sie mit in die Lüfte nehmen würde, würden sie dennoch durch ihre eigenen Augen sehen und nicht seine. Die Wahrnehmung derselben Sache oder derselben Dinge kann trotzdem vollkommen verschieden sein. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge 😊
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